Marokko: Wir haben die Zeit
Marokko: Wir haben die Zeit
16.05.11
Die Reise ist zu Ende, hier beginnt der Urlaub. Marokko hat an touristischer Infrastruktur alles zu bieten, perfekt durchorganisierte Campingplätze, hervorragende Restaurants und vorbildlich organisierte Sehenswürdigkeiten. Bankautomaten akzeptieren unsere EC-Karten, das Personal spricht Deutsch und die Straßen sind in bestem Zustand. Uns macht das deutlich, dass wir Afrika langsam hinter uns lassen. Nur gelegentlich blitzt die afrikanische Mentalität durch. So eilt den Polizisten in Tan Tan ihr Ruf zur Korruption meilenweit voraus. Bereits in Togo werden wir ermahnt am Kreisel in der Ortseinfahrt das Stop-Schild ja nicht zu überfahren, da uns das sonst sagenhafte 70 Euro kostet. Das Feilschen wird auch hier zur Kunst erhoben, mit einem deutlichen Unterschied zu Schwarzafrika: Der Schlitzohrenfaktor. Wir tappen mehrfach in diese Falle und kommen uns wie Anfänger vor. Wird auf dem schwarzafrikanischen Kontinent auch noch so erbittert um Preise gestritten, ist alles vergessen, sobald der Handschlag erfolgte und jeder hält sich an die Absprachen. Nicht so in Marokko, hier kommt das Dicke Ende immer noch nach. Besonders schmerzhaft erleben wir dies auf dem Fischmarkt in Agadir. Wir folgen einem Einheimischen, der uns freundlich anbietet uns zu zeigen wo der alte Hafen zu finden ist (Fehler Nummer 1). Dort lassen wir uns von ihm ein Menü vorschlagen (Fehler Nummer 2). Als die Tafel gereicht wird ist viel mehr darauf als wir bestellt hatten. Wir fragen jedoch nicht nach, auch nicht nach dem Preis, denn der steht ja auf Informationstafeln an der Wand (Fehler Nummer 3). Um die exorbitante Rechnung von 40 Euro bricht ein vehementer Streit aus, bei dem ich – wie so häufig in diesem Land – das Gefühl habe, dass ich als weiblicher Gesprächspartner nicht ernst genommen werde. Wir zahlen zwar am Ende nur das, was wir für angemessen halten, aber die Stimmung ist für den heutigen Abend ruiniert.
Andere Marokkaner haben uns mit ihrer Ehrlichkeit dagegen sehr für sich eingenommen. Der Olivenhändler auf dem Markt zum Beispiel, dem Stefan den fünffachen Betrag des Kaufpreises in die Hand drückt. Er selbst ist sicher damit einen fairen Preis zu zahlen. Der Mann bekommt vor Schreck geweitete Augen und gibt ihm den größten Teil des Geldes wieder zurück.
Wir haben für Marokko einen Monat Zeit eingeplant, denn auch hier lohnt es sich kreuz und quer durch die abwechslungsreichen Landschaften zu fahren. Der Atlas besteht aus drei verschiedenen Gebirgsketten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der süd-westlich gelegene Antiatlas wird bewachsen von einer kuriosen Mischung aus Nadel- und Olivenbäumen, Palmen und Kakteen. Die Strassen winden sich hier in schwindelerregende Höhen, terracottafarbene Häuser kleben wie Nester am Hang, mit dem sie farblich verschmelzen. Diese Berber-Siedlungen erinnern uns an die Dörfer der Dogon in Mali. Die Menschen auf der Strasse sind kleine, oft sehr alte Männer und Frauen in weissen bzw. schwarzen, weich fließenden Gewändern. Sie schauen gütig aus ihren runzeligen Augen und manchmal blitzt ein fröhliches Lächeln auf, bevor das Gesicht der Frau hastig vor dem Fremden hinter dem Schleier verborgen wird. Das Leben ist entbehrungsreich, denn der Boden ist karg. Gruppen von Frauen wandern von den Feldern nach Hause, auf dem Rücken riesige Flechtkörbe mit Getreide oder Holz, das gesamte Gewicht über ein Lederband auf der Stirn ruhend.
In der Gegend um die Stadt Tafraoute hat Obelix sein Hinkelsteinlager. Kreisrunde vor allem in den Abendstunden rotglühende Felsen sind zu fantasieanregenden Formationen aufgetürmt. Wir übernachten zwischen diesen Riesen auf Rasen unter Palmen. Zum ersten Mal seit Tagen ist es windstill – einfach märchenhaft. Der Ausflug in die nahegelegene Schlucht zeigt uns, wie faul wir unterwegs sind. Als ordentlicher Tourist fährt man hier nämlich mit dem Mountainbike durch die sengende Hitze, oder man wandert. Ohne schlechtes Gewissen packe ich in der Oase aus 1001 Nacht zur Mittagszeit Ziegenkäse mit Olivenöl und Pitabrot aus. Überhaupt, das Essen in Marokko ist ein Gedicht. Wer dieses Land bereist kommt an der Tarjine nicht vorbei. In einer Tonschale werden Speisen auf Holzkohle sehr lange und schonend gegart. Bei den Zutaten ist der Fantasie keine Grenze gesetzt, klassisch wird Rindfleisch mit Kartoffeln und anderen Gemüsen gereicht. Beim Kochen und Servieren sind die Zutaten unter einer tönernen Mütze verborgen. Der Überraschungseffekt macht die Tarjine zum besonderen Erlebnis. Unser Favorit ist Dromedarfleisch mit Rosinen und Datteln, auch wenn uns in der Sahara ein leichter Anflug von schlechtem Gewissen packt, wenn wir den lustigen Tieren begegnen.
Zagora ist der Ausgangspunkt der Pistentour durch die marokkanische Südsahara und die Hochburg der 4x4 Werkstätten. Alle Schrauber behaupten hier auf der Rally Paris-Dakar als Mechaniker dabei gewesen zu sein. Sie folgen uns in schick ausgebauten Landies oder auf Motorrädern und bieten uns bei voller Fahrt ihre Dienste durchs offene Fenster an. Wir verlieren einen Liter Kühlwasser auf 200 km, aber mein Auto-Pilot macht seine Reparaturen inzwischen lieber selbst. Da wird, mit einem zuvor beim Metallbaubetrieb in Auftrag gegebenen Metallrohr, flugs die ohnehin nicht mehr funktionsfähige Heizung überbrückt und schon können wir die Piste in Angriff nehmen. Nur einmal bleiben wir stecken. Wir überqueren einen See, der zu dieser Zeit eigentlich ausgetrocknet sein müsste. Gegen alle Wetterregeln hat es allerdings in den letzten Tagen geregnet und so gibt es einige aufgeweichte Passagen. Bevor uns klar ist was gerade passiert, ist es auch schon zu spät. Der Landy hängt mit der Beifahrerseite so tief im Sumpf, dass mit Differentialsperre und kleinem Gang nichts mehr zu machen ist. Sofort sind wir von einem Dutzend Kinder aus dem nahe gelegenen Dorf umringt. Ein weisser Landy kommt ebenfalls angerauscht und hat das Abschleppseil schon festgeknotet, bis ich die Frage „was willst du dafür haben?“ überhaupt formulieren kann. Er ignoriert mich und zieht den Landy rückwärts aus dem Schlamm. Das Geld das Stefan ihm gibt (über die Kleidungsstücke die wir ihm zuerst anbieten rümpft er pikiert die Nase) bezeichnet er als Kleingeld, das wir besser unter die Kinder verteilen. Das tun wir dann auch, so dass er leer ausgeht. Das Prinzip hat Methode. Die Kinder sind darauf abgerichtet Touristen so mit Handzeichen zu führen, dass sie garantiert steckenbleiben. Der einheimische Helfer zockt dann ab.
Die Piste von Zagora nach Merzouga ist ein Traum in rot. Roter Sand auf aschgrauem Gestein wie Schiefer wechselt zu rotem Sand mit tiefschwarzem Gestein wie Lava. Am Ende die Dünen des Erg Chebbi, sie bestehen aus rotem, weichem Sand und sind teilweise über 100 Meter hoch, ein riesiger Sandkasten. Wir erklimmen eine große Düne und schauen aus der Höhe zu, wie die nun spielzeuggroßen Landies und Quads auf den Dünenkämmen surfen. Wir sind nicht die einzigen Beobachter. In einem Dünental sitzt ein Dromedar-Pärchen – auf seine „Kameltour-Touristen“ wartend – und schaut den Metalltieren mit runden Füßen hinterher, wobei sie synchron den Kopf in Fahrtrichtung bewegen. Ich wüsste zu gerne, was in diesen Köpfen jetzt vorgeht.
Die Dadesschlucht ist eines der landschaftlichen Highlights, aber auch hier ist inzwischen alles geteert. Wir haben kaum Zeit unsere Eindrücke zu genießen, denn schon wird die Strecke von einer Renault 4 Oldtimer-Rally eingenommen. Die spanischen Fahrer springen aus ihren Wagen, machen wild Fotos und feiern ihren Erfolg wie eine Everest-Besteigung. Ich frage mich warum wir uns eigentlich so selten intensiv darüber freuen was wir erreicht haben. Meist gehen wir sofort zur Tagesordnung über, denn die nächste Herausforderung wartet ja schon.
Marokkaner haben die Kanalbewässerung perfektioniert. Wir fahren durch wüstenhafte Landschaft und plötzlich tauchen grüne Felder auf, oft terrassenartig angelegt wie auf Bali. Im hohen Atlas sieht es dann mit einem Mal wie zu Hause in den Alpen aus. Kurz hinter der 2100 Meter Passhöhe verlieren wir zum letzten Mal auf der Tour unsere Hinterachsschrauben und können den Reparaturzeit-Rekord von 15 Minuten vermelden. Die Einheimischen sind sehr besorgt und können unsere Ruhe gar nicht begreifen. Wir müssen mehrfach versichern, dass wirklich alles in Ordnung ist.
Ein Taxi in Marrakesch. Wir nennen dem Fahrer eine Adresse und sind erstaunt, dass er weiss wo das ist. Marokko ist einfach nicht afrikanisch. Der Taxifahrer will den Wagen starten, aber nichts passiert. Er springt mit einem Schraubenzieher bewaffnet aus dem Auto und ruft noch in Richtung Rückbank „Batterieschaden, bitte sitzen bleiben!“ Wir lächeln uns an, „also doch alles wie immer.“ Wir lassen uns durch die Medina treiben ohne Plan und ohne Ziel. Die engen Gassen sind verwinkelt, das Warenangebot überwältigend, Lampen in allen Größen, Lederwaren, Gewürze, Schmuck und Stoffe. Völlig unverhofft spuckt uns dieser Irrgarten an einem Ende aus. Wir umrunden eine Mauer und gehen wieder hinein. So kommen wir irgendwann auf dem zentralen Platz, der Djemaa El Fna, an. Von der Hochterrasse eines Restaurants schauen wir dem regen Treiben zu. Schlangenbeschwörer hängen unbedarften Vorbeischlendernden eine Schlange um den Hals, Wasserverkäufer in traditioneller Aufmachung lassen ihre Glöckchen erklingen, um auf sich aufmerksam zu machen. Frauen bemalen fahle europäische Hände mit Henna-Zeichnungen und Berber machen Musik zu der sie die Zipfel ihrer Hüte rhythmisch kreisen lassen. Für den Abend werden Essensstände aufgebaut, die Harira (Suppe), Schnecken und natürlich Tarjine zum Verzehr anbieten. Es ist ein berauschendes Durcheinander an Tönen, Farben und Gerüchen. Von Touristen oft unbemerkt, konzentrieren sich viele der Aktivitäten auf das einheimische Publikum. Arabische Märchenerzähler belustigen die Marokkaner, unter großen Sonnenschirmen sitzen Männer, die die Zukunft voraussagen, Kartentrickspieler werden umlagert als sei der Gewinn nicht der Verlust garantiert. Von unserem Logenplatz auf der Restaurant-Terasse macht Stefan Fotos. Jeder Reisende kommt mindestens einmal hierher, um den Anblick zu genießen. Der perfekte Ort um der Tourismusindustrie einen Schlag zu versetzen. Auch Al Quaida weiss das und so explodiert kaum zwei Wochen nach unserem Besuch die Bombe. Sie reisst Menschen in den Tod, viele werden verletzt. Wir wünschen den Marokkanern, dass der Terror sein Ziel nicht erreicht, Besucher anderer Nationen weiter dieses wunderschöne Land besuchen.
Mohamed ist ein intelligenter Mann. Der Chef des „Les Amis“ - einer Unterkunft in der Nähe der Todraschlucht - hat in Deutschland Industriemechanik studiert und 13 Jahre bei uns gelebt und gearbeitet. Sein Urteil über die Deutschen ist interessant. „Ihr habt einen sehr engen Blickwinkel und seht immer nur die Aufgabe die vor euch liegt. Das Leben rechts und links davon wird häufig ignoriert.“ Marokkaner hingegen würden es besser verstehen über der Arbeit die Familie und die Freunde nicht zu vergessen. „Wir können hart arbeiten, aber wir wissen auch, wann die Zeit gekommen ist das Leben zu genießen.“ Und zum Schluss, „wir haben die Zeit, ihr habt die Uhr.“ Wir hören deutlich, dass unsere Uhr wieder tickt und damit die wertvolle Zeit auf dem afrikanischen Kontinent abläuft. Die Fährüberfahrt nach Spanien ist ein Wechselbad widerstreitender Gefühle.
Gängiges Fortbewegungsmittel in Marokko - eine störrische ES.
Unser neuer Freund möchte gerne am Frühstück teilnehmen.
In Tafraoute leuchten am Abend die Berge.
Aus Mauretanien und der Westsahara kommend, können wir von dem üppigen Grün gar nicht genug bekommen.
Oasen sind märchenhafte Orte der Ruhe.
Eine Kasbah im Süden Marokkos. Sie diente den Berbern als Wohnburg. Andere Kasbahs v.a. im Norden wurden zu militärischen Zwecken genutzt.
Blick in das Innere der Kasbah, die eine Großfamilie beherbergte.
Die Berge im hohen Atlas sind bis zu 4000 Meter hoch. Auch im Mai sind manche Gipfel noch schneebedeckt.
Im Atlasgebirge präsentiert sich die Landschaft um jede Ecke neu.
Selbst in den abgelegensten Winkeln hüten Berber ihre Schafe und Ziegen. Die Marokkaner sagen, die Einsamkeit sei ein guter Lehrer.
Ich habe meinen Meister gefunden. Am Rande der Dadesschlucht muss ich mit diesem Berber hart um ein Schmuckstück feilschen, es ist Schatulle und Armreif zugleich.
Blackcontinent Tour 2010/2011
Durch intelligente Bewässerungssysteme entstehen Grüngärten in wüstenhafter Landschaft.
Diese Berge sehen aus, als hätte sie jemand mit einem Metallrechen gekämmt.
Die Dadesschlucht
Marrakesch - Die Perle des Südens
Die Medina ist ein Irrgarten. Wir lassen uns einfach treiben.
Die bunten Farben der Stoffe erinnern uns daran, dass wir immer noch in Afrika sind.
Spieglein, Spieglein an der Wand...
Ein Potpourri an getrockneten Früchten.
Färber bei der Arbeit. Hier wird noch echtes Handwerk praktiziert.
Die Felle werden auf Hausdächern in der Medina zum Trocknen ausgelegt.
Wohnung mit Licht und Live-Musik.
Die Djemaa El Fna - Ein „Rummelplatz“ für große und kleine Gäste.
Letzte Fluchtversuche
In den kleinen Restaurants werden landestypische Speisen serviert. Hier werden Schnecken gereicht.
Für dieses Exemplar kommt jede Hilfe zu spät.
Die Kobra tanzt zur Musik des Schlangenbeschwörers.
Berber spielen auf und tanzen dazu. Sie machen nur Pause, während der Imam der nahe gelegenen Moschee zum Gebet ruft.
„One size fits all“ - Der „Bubu“ ist der traditionelle Ausgehrock der Marokkanerinnen. Manche füllen ihn mehr, andere weniger aus.
Pässe erklimmen im Atlasgebirge
Ich schau dir in die Augen Kleine(r)...
Wenn du noch einmal sagst, „das Gerüttel und Geschüttel geht mir auf den Geist“,
dann gehst du zu Fuß weiter!
Unterwegs in der marokkanischen Südsahara
Kleiner Landy vor großer Kulisse. Ungewöhnlich für die Jahreszeit hat es in den letzten Tagen geregnet.
Ende einer Matschrally. Der weiße Landy gehört einem Einheimischen, der uns flugs herauszieht.
Der staubige Untergrund - Fesch Fesch genannt - zeigt uns andere Fahrzeuge auf der Piste an, lange bevor wir ihnen begegnen.
Wir treffen auf der Piste häufig Wüstenschiffe an.
Der Er Chebbi ist ein riesiger Sandkasten. Aufgrund seiner geringen Ausmaße kann hier kaum jemand verlorengehen.
Ein idealer Platz, um das Dünen-Surfen zu üben. Ich wüsste zu gerne, was die beiden Dromedare über die Konkurrenz auf vier Rädern denken.
Manche Dünen sind hier 100 Meter hoch.
Wie Haut aus Samt und Seide.
Königsstadt Fes
Wir erleben Fes als sehr viel entspannter im Vergleich zu Marrakesch. Hier gleicht das Leben noch einem ruhig dahinfließenden Fluss. In den Gassen wird Brot gebacken wie zu Großvaters Zeiten.
Die Teehäuser sind den Männern vorbehalten. Mohammed sagt, „wir haben die Zeit, ihr Deutschen habt die Uhr.“
Im Wohnzimmer einer reichen Familie. Prunk auf marokkanisch.
Bab Boujeloud, das blaue Tor. Blau ist die Farbe von Fes. Blau wie das Meer. Und ein Meer voll Geschichten ist diese Stadt. Du musst sie nur finden. Blau ist die Farbe von Fes. Grün ist die Farbe des Glaubens. Überleg es dir gut, welcher Farbe du folgst. Folgst du zu lange dem Blau, führt dich das Blau, vielleicht, in die Irre. (Quelle: Josef Dücker)
Zwei benachbarte Häuser in den Gassen der Medina von Fes. Eine Tür führt zum öffentlichen Bad, die andere zum Friseursalon.
Auf dem Weg zur Fähre in Tanger lockt uns die Landschaft noch einmal mit spektakulären Farben.
Der schönste Sonnenuntergang der blackcontinent tour 2010/11
Mit dem Kontinent geht auch das Kennzeichen.