Mali 3: Im Land der Dogon
Mali 3: Im Land der Dogon
27.02.11
Ihre Lehmhäuser kleben wie Schwalbennester am Steilhang der Felswand, ihre Zeitrechnung richtet sich nach der Ernte und die Woche hat nur fünf Tage. Sie leben in Abgeschiedenheit vom Ackerbau und Markttag ist Festtag. Dies ist kein Fantasy Roman, sondern beschreibt das Leben der Menschen im Dogonland. Die Falaise de Bandiagara ist ein Naturschauspiel: Eine 300 Meter hohe, steile Abbruchkante teilt das Land in ein Plateau und eine Ebene, die sich bis nach Burkina Faso erstreckt. An dieser Kante wohnen die Dogon seit dem 13. Jahrhundert. Ihre Vorfahren sind aus dem Westen Malis vor den Fulbe geflohen. Diese haben sich am regen Sklavenhandel beteiligt, also Menschen anderer Stämme gefangen und verschleppt. Damals lag die Falaise in einem Urwald mit dichter Vegetation den wilde Tiere wie Leoparden, Elefanten und Antilopen durchstreiften. Pygmäen – die von den Dogon Tellem genannt werden – waren hier bereits ansässig. Wie reich der Tierbestand gewesen sein muss wird daran deutlich, dass die Jäger der Pygmäen nicht wie sonst als Nomaden umherzogen. Sie waren vielmehr in kleinen runden Lehm“nestern“ am Steilhang sesshaft. Ihre Häuser erreichten sie indem sie sich an Lianen hinaufschwangen. Die nach der Legende ursprünglich vier Ehepaare der Dogon vermehrten sich rasch und vertrieben schließlich die Tellem von der Falaise. Sie übernahmen jedoch deren Wohnstätten und erweiterten sie. Gut versteckt vor den Spähern der Fulbe lebten sie vom Ackerbau und praktizierten ihren animistischen Glauben. Ihre religiöse Überzeugung war ein weiterer Grund, warum sie die ursprüngliche Heimat verließen, denn die fortschreitende Islamisierung machte auch vor ihren Dörfern nicht halt.
Die Sklaverei haben die Dogon überlebt, die islamistische Religion jedoch hat sie inzwischen eingeholt, was unser tief in seinen Traditionen verwurzelter Reisebegleiter Mamadou sehr bedauert. Wir haben zum ersten Mal auf der Blackcontinent Tour für mehrere Tage einen Führer gebucht, der uns Wissen über die Dogon vermittelt, den Kontakt zu Menschen herstellt und uns davor bewahrt Fehler zu begehen. In unserer Unkenntnis würden wir ganz sicher über heilige Stätten stolpern und dadurch entweihen. Wir kämen aus der dann notwendigen rituellen Opferung von Hühnern gar nicht mehr heraus. In seiner Begleitung pilgern wir nun, teils mit dem Auto, teils zu Fuß, die gesamte Falaise entlang und nehmen dabei die Eigenheit der Landschaft und diese fremdartige Kultur in uns auf. Wir benötigen dabei unsere Vorstellungskraft, denn vieles ging mit den Jahrhunderten verloren. Nach den Tellem verschwanden die Tiere und die dichte Urwaldvegetation. Heute blicken wir über karge Savannenlandschaft die im Osten in rote Dünen übergeht. Viele der Dörfer am Steilhang sind inzwischen verlassen, die Bewohner sind in die Ebene gezogen, um näher bei ihren Feldern und der Wasserversorgung zu sein. Wir haben eines dieser verlassenen Dörfer erklommen und schauen nun in die endlose Weite vor uns. Gut vorstellbar, dass hier die Feinde der Dogon schon Tage im Voraus zu sehen waren. Die Stimmen aus dem Tal hallen an der Felswand wider und geben der Umgebung eine besondere Atmosphäre. Kinderlachen, Ziegenblöken und das Stampfen von Hirse vermischen sich und erwecken die Ruinen zu neuem Leben. Aus dem Lautsprecher der Moschee erheben sich tumultartige Geräusche. Wir nehmen den Unterschied zum Gebetsaufruf eher ungerührt zur Kenntnis, da wir nichts verstehen. Beim Mittagessen erfahren wir, dass sich ein Drama in der Moschee über die Lautsprecheranlage verbreitet hat. Der Imam predigte Enthaltsamkeit vom Alkohol und einer fühlte sich besonders angesprochen. Es brach ein Streit aus der in eine handfeste Prügelei mit dem Imam mündete. Stefan beginnt sich für den Islam zu erwärmen, „da ist wenigstens was los im Gotteshaus.“ Ein Dorf weiter, hier sind sie ausnahmsweise katholisch, wird eine neue Kirche eingeweiht. Es wird viel gesungen, getanzt und gelacht. Die Frauen laden mich ein mitzumachen. Ich ziere mich, aber Mamadou ermahnt mich nicht unhöflich zu sein. Der „Kreistanz“ hat eine eigenwillige Schrittfolge. Nachdem ich der Dame neben mir zweimal auf die Füße getreten bin, ist sie nicht unglücklich darüber, dass ich mich verabschiede ohne die Runde zu beenden.
Höflichkeit wird bei den Dogon groß geschrieben. Diese Kultur, deren Sprache kein Äquivalent in der Schrift hat, lebt vom intensiven Austausch. Dies nimmt kuriose Züge schon bei der Begrüßung an. Eine nicht enden wollende Abfolge an Fragen nicht nur zum eigenen Wohlbefinden, sondern auch der Gesundheit von Eltern, Frau, Kind und Rind wird höflichkeitshalber immer mit „sehr gut“ beantwortet. Wir werden oft Zeugen dieses formellen Aktes, denn Mamadou kennt hier fast jeden. Seine Fragen werden manchmal im Konzert von mehreren mit „Seh, Seh, Seh“ beantwortet. Nach einem gemeinsam ausgerufenen „Poh“, das die Wende markiert, wird die Gesprächsreihenfolge getauscht. Jetzt ist es an ihm alle Fragen mit einem überzeugenden „Seh“ zu beantworten. Dass wir dabei einfach weiterlaufen und bis zur letzten Frage bereits drei Strassen weiter sind, scheint niemanden zu stören. Mamadou ruft einfach laut genug „Seh! Seh! Seh!“, nur um hinter der nächsten Ecke mit einem weiteren Bekannten das ganze Ritual wieder von vorne zu beginnen. Ich frage ihn, wie er eigentlich mit seinem Mobilfunkkredit auskommt, da das Gespräch ja sicher ziemlich lange dauert, bis man überhaupt zum Kern der Sache vordringt. Bei der flüchtigen Verbindung stelle ich mir das sehr anstrengend vor. Mamadou lacht herzlich und meint, „am Telefon sage ich nur Hallo und sonst nichts“. Erosion der Sitten durch technischen Fortschritt.
Die Dörfer der Dogon weisen einige Besonderheiten auf. Es gibt zum Beispiel Gemeinschaftshäuser, in denen Frauen immer dann leben müssen, wenn sie ihre Regel haben. Stefan findet die Männer der Dogon intelligent, da sie das bestimmt nur eingeführt haben, um dem Gezicke und Genörgel ihrer Liebsten in diesen Tagen zu entgehen. Auf dem zentralen Versammlungsplatz jedes Dorfes steht eine Hütte, die der Streitschlichtung dient. Ihr Dach ist besonders niedrig. Dies sorgt für eine demütige Körperhaltung und soll Eskalationen verhindern. Ich stelle mir vor, wie sich diese Konstruktion weltweit auf den Verlauf von Business Meetings auswirken würde, verwerfe den Gedanken aber umgehend als untauglich. Streitschlichter sind die Schmiede. Wenn sich zwei Familien nicht einig werden, baut der Schmied seinen Amboss zwischen ihnen auf. Wird der Streit daraufhin nicht beigelegt, wird es unweigerlich zu einem Unglück kommen. Die Dogon haben ein Kastensystem, das sich am Beruf orientiert. Wir verstehen das System nicht recht und fragen Mamadou zu welcher Kaste er gehört. Er ist geradezu beleidigt und konstatiert er sei „nobel“. Schmiede und Färber gehören zu den Kasten, andere Berufsgruppen wie die Jäger oder die Griots (Musiker und Geschichtenerzähler) sind jedoch „nobel“. Da kenne sich einer aus.
Wir schlafen wie gewohnt auf dem Dach, diesmal aber nicht unseres Autos im Zelt, sondern auf einem der Häuser unter freiem Himmel. Ich werde in der Nacht unzählige Male wach und beobachte fasziniert den Sternenhimmel. Eines der Sternbilder ist Sirius. Es ist mit der Entstehungsgeschichte der Dogon eng verknüpft. Ich finde es faszinierend, dass die Dogon schon immer wussten, dass es aus drei Sternen besteht. Die Astronomie hat Jahrhunderte lang die Existenz des dritten Sterns bestritten, bis die Geräte sensitiv genug waren, diesen schwächeren Stern zu sehen. An seiner Laufbahn orientiert sich das höchste Fest der Dogon. Es findet nur alle 60 Jahre statt – das nächste Mal im Jahr 2027 - und ist daher im Leben der Dogon ein einmaliges Ereignis. Kern der Zeremonien sind rituelle Maskentänze. Die ehemaligen Häuser der Tellem in der Ortschaft Yougapiri werden zur Aufbewahrung der rituellen Gegenstände, Masken und Musikinstrumente für dieses Fest verwendet. Hier leben die Menschen noch sehr ursprünglich in Felsvorsprüngen, Höhlen und Mulden. Wir sind von dieser fremden Kultur in den Bann gezogen.
Die traditionellen animistischen Bräuche werden mündlich von Generation zu Generation überliefert. Viele Jugendliche verlassen die Falaise jedoch, um ihr Glück in der Hauptstadt Bamako zu suchen. Es ist daher zu befürchten, dass innerhalb weniger Generationen dieses Wissen verlorengeht.
Die Dogon wohnen in der Falaise de Bandiagara am Abhang. Ihre Dörfer haben sie in teils schwindelerregender Höhe errichtet.
Hütte mit Aussicht. Die Dörfer neueren Datums sind in der Ebene, nahe bei den Feldern.
Viele Dörfer sind verlassen, einige Dogon leben aber auch heute noch nach alter Tradition.
Alles ist aus Lehm und Holz erbaut. Hier ein Getreidespeicher. Es gibt sie in „männlich“ und „weiblich“. Frauen bewahren darin ihren Schmuck auf. Zutritt für Herren streng verboten!
In der Moschee bricht über das Alkoholverbot eine handfeste Prügelei mit dem Imam aus.
Die kleineren runden Gebäude in den oberen Reihen wurden vor Jahrhunderten von Pygmäen, den Tellem, als Wohnhäuser errichtet. Heute dienen sie den Dogon zu rituellen Zwecken, wie der Totenbestattung. Der Verstorbene muss an Seilen nach oben gezogen werden.
Die Färberinnen verstehen ihr Handwerk. Sie sind auf Indigo spezialisiert.
Reich verzierte Hütte zur Streitschlichtung. Die niedrige Deckenhöhe sorgt für eine demütige Haltung der streitenden Parteien.
Auf dem zentralen Versammlungsplatz finden sich schon am Morgen die Dorfältesten ein. Sie freuen sich über eine Spende Kolanüsse.
Schlafen unter freiem Himmel auf dem Dach eines Dogonhauses.
Auch Wasser vom Brunnen muss den weiten Weg den Steilhang hinauf getragen werden.
Der Hogon ist der Medizinmann der Dogon. Sein Haus ist mit Symbolen - den Maskentänzern - geschmückt.
Alle fünf Tage ist Markttag. Markttag ist Festtag.
Frauen tragen die Waren kilometerweit ins Dorf.
Hier trennt sich die Spreu von der Hirse.
Mamadou liebt seine Kultur und steckt uns mit seiner Begeisterung an. Er kennt alle schönen Orte und lässt die fünf Tage Dogonland für uns zu einem besonderen Erlebnis werden.
Kirchenfest mit Kreistanz. Ich falle nicht nur wegen meiner Farbe aus dem Rahmen. Nach einer halben Runde wird mein Ausscheiden von niemandem bedauert.
Schwer vorstellbar, dass hier einmal Urwald mit wilden Tieren gewesen sein soll. Bewässerung mit Kalebassen macht jedoch Ackerbau auch in dieser Gegend möglich.
Bewässerung aus tiefen Brunnen. Mühsam aber effektiv.
Die Frauen der Dogon sind schwer zu fotografieren. Manche glauben der Apparat raubt ihnen die Seele.
Durch das Dogonland legen wir viele Wege zu Fuß zurück, teilweise über abenteuerliche Treppenkonstruktionen.
Ich bilde mir ein die Getreidespeicher sind Zwerge. Sie bewegen sich jedes Mal, wenn ich nicht hinschaue.
Die Bewohner tragen alle Lasten über schmale Trampelpfade und Geröll zu ihren Häusern.
Die Vogelperspektive erlaubt einen Blick hinter die Kulissen.
Diese Riesenschildkröte lebt auch im Dogonland.
Der Tunnel dient der Trockenlagerung von Viehfutter.