Mauretanien: Zwischen Meer und Dünen
Mauretanien: Zwischen Meer und Dünen
07.04.11
Es ist meine Angststrecke, denn wir haben so viel schlimmes gehört. Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und Al Quaida sind an der Tagesordnung. Touristen wurden verschleppt, wie zuletzt Ende 2009 Italiener und Spanier. Aber wir haben wenig Wahlmöglichkeiten wollen wir über Land nach Hause. Wahr ist auch, dass die Strecke zwischen der Hauptstadt Nouakchott und Nouadhibou nahe der Grenze zur Westsahara inzwischen durchgehend geteert ist. Alle 50 km steht hier ein Polizeiposten, damit keiner verlorengeht. Jeder Tourist muss sich registrieren. Wir haben dafür so genannte „Fiche“ vorbereitet, die neben den Namen von Vater und Mutter, den Beruf sowie alle Angaben aus unserem Reisepass und den Fahrzeugpapieren auflisten. Wir planen innerhalb weniger Tage die etwa 500 km durch Mauretanien hinter uns zu bringen.
Aus dem Senegal kommend haben wir das Gefühl wir betreten eine neue Welt. Die Beamten am Grenzposten in Diama - mit deutlich hellerer Hautfarbe und arabischer Physiognomie - sind mit Computern ausgestattet. Ein Lesegerät erfasst unsere Passdaten automatisch. Am Ende des Prozesses verlangt der Staatsangestellte eine „Bearbeitungsgebühr“. Also doch noch alles beim Alten denke ich und frage unschuldig, ob ich eine Quittung bekomme. Das löst Irritation aus und der Chef wird gerufen. Ganz kommen wir um das Schmiergeld nicht herum, aber wir verhandeln hart und sind am Ende mit 2,50 Euro dabei. Der uns zuvor angekündigte Vertreter der Autoversicherung ist natürlich nicht anwesend. Sonst würde der Herr von der Gendarmerie, der uns lächelnd zwei Kilometer nach der Grenze in Empfang nimmt ja auch nichts mehr verdienen. „Ihr habt keine Autoversicherung, das ist aber gegen das Gesetz!“ Wir bestreiten das und weigern uns hartnäckig die Strafe zu zahlen. Sein Kumpel vom Nationalpark kriegt uns dann aber doch dran. Die Hauptstrasse führt angeblich durch geschütztes Gebiet und ist gebührenpflichtig. Er wedelt mit einem Quittungsblock in arabisch. Wir ergeben uns in unser Schicksal. Dave, der mit seinem krisengeschüttelten Landy nur eine halbe Stunde hinter uns fährt macht großes Theater, ruft seinen Botschafter an und kommt so auch um diese Zahlung herum. Es ist immer eine Frage, wie viel Drama man sich leistet. In Nouakchott am Campingplatz brauche ich erst einmal einen Schluck aus unserer Teekanne, in die wir unseren Whiskey umgefüllt haben, denn Alkohol ist in der Islamischen Republik Mauretanien strengstens verboten.
Im Beduinenzelt auf der Ottomane liegend und (echten) Tee schlürfend unterhalten wir uns mit Cora, einer Deutschen, die seit 13 Jahren in Mauretanien lebt und mit ihrem Mann das BAB Sahara Camp leitet. Für Saharareisende ist sie eine Institution, seit den Reisewarnungen und dem damit einhergehenden Bann für Gruppenreisende ist sie praktisch arbeitslos. „Alles quatsch, diese Panik. Bei uns ist seit Jahren alles ruhig. Das einzige was damit erreicht wird ist, dass die Einheimischen ihr Einkommen verlieren.“ Sie haben ihr zweites Auto verkauft, um zumindest drei Angestellte behalten zu können. Bis zu Cora in die Dünen trauen wir uns nicht. Aber als der Holländer Mario - den wir in Mali kennengelernt haben - plötzlich in der Einfahrt steht, braucht es nur eine kurze Abstimmung und die gemeinsame Tour, entlang der alten Piste am Meer, ist beschlossene Sache. Wir verbringen die nächsten Stunden damit aus dem Internet Ebbe- und Flut-Tabellen herauszusuchen, denn der Wasserstand ist der kritische Parameter. Wir haben zur Fahrt nur die zwei Stunden vor und nach der Ebbe. Zu anderen Zeiten gibt es keinen breiten Ebbestrand, sondern nur weichen Sandsaum. Ausweichen ist nicht immer möglich, wegen der oft künstlerisch aufgefalteten aber nicht befahrbaren Dünen. Die Ebbe-Zeiten sind etwas unglücklich, entweder am Morgen vor Sonnenaufgang oder am Spätnachmittag bevor die Sonne untergeht. Wir beschließen es mit der zweiten Schicht zu versuchen und den größten Teil des Tages gemütlich zu rasten. Der Landy und Marios Toyota tänzeln am Wassersaum entlang, bestrebt, den harten Teil des sandigen Untergrundes zu treffen und weder ins Meer, noch in die Weichsandteile abzudriften. Die Fahrer machen ihre Sache sehr gut und ich genieße es, mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Möwen, dahin zu rauschen. Wir passieren mehrere Fischerdörfer und decken uns zum Abendessen mit frischem Fisch ein. Die Fischer sind Schwarzafrikaner, meist aus dem Senegal oder Gambia. Sie werden für mehrere Monate angeheuert und leben hier in der Abgeschiedenheit in der Hoffnung auf ein bescheidenes Einkommen. Manche sind auf dem Weg nach Marokko. Sie träumen von einer rosigen Zukunft in Europa, auch wenn die meisten Kumpels die bereits dort sind nur negatives zu berichten wissen. Ein paar Jahre in Deutschland oder Frankreich und du hast daheim ausgesorgt, ist das immer gleiche Mantra. Uns bitten sie nicht um Geld, sondern um eine Zigarette. „Madame, hier gibt es doch sonst nichts, nicht einmal Frauen.“
Mario ist mit Anfang fünfzig Privatier, seinen Beruf des Fotografen betreibt er nur noch als seltenen Nebenerwerb. Seit 15 Jahren bereist er die Kontinente und strahlt die Ruhe eines Menschen aus, der schon alles gesehen hat. Er versteht es zu genießen und so essen wir in den Tagen die wir nun gemeinsam mit ihm „unter dem Radar fliegen“ so gut, wie selten auf der Tour. Die Langusten sind in Mauretanien riesig, sie passen kaum in unsere schon üppig bemessenen Kochtöpfe. Eben noch quicklebendig auf der Motorhaube tänzelnd, köcheln sie nun in köstlich duftendem Sud, bis sie die Farbe verändern. Die Abende verbringen wir Erfahrungen austauschend unter sternenklarem Himmel zwischen Meeresrauschen und Nordwind, der unsere Körper mit dem Sand der Sahara einbalsamiert. Ein besonders großer Meteorit tritt in die Atmosphäre ein. Die Kugel ist am Himmel lange sichtbar und zieht einen sehr hell aufleuchtenden Schweif hinter sich her. Ich bedanke mich still für dieses Geschenk. Nachts rüttelt der Wind so an unserem Zelt, dass wir um die Nähte fürchten. Am Morgen gibt es zum Frühstück Sand mit Tee, Sand mit Marmeladenbrötchen und Sand mit Obst. Die Temperaturen steigen über Tag derart an, dass wir das Bild von „spiel mir das Lied vom Tod“ abgeben. Drei reglose Gestalten, Fliegen im Gesicht, kauern im spärlichen Schatten ihres Wagens und warten auf die nächste Ebbe.
Mario und Stefan beobachten über zwei geschlagene Stunden die Wellenbewegung des Meeres. Wir haben die Engstelle erreicht, eine Felsformation, die weit ins Meer hineinragt. An ihrer landeinwärts gerichteten Flanke geht sie malerisch in eine hohe rote Sanddüne über. Stefan glaubt sie sei passierbar, aber nur mit viel Anstrengung für Mensch und Material. Der Weg am Meer entlang ist der wesentlich einfachere. Aber das Wasser weicht nicht ganz zurück, selbst als die Ebbe sich ihrem Tiefststand nähert. Meine beiden Begleiter haben das Meer aber nun so lange studiert, dass sie sich sicher sind durchzukommen. Die Pause zwischen zwei Wellen müsste lange genug sein. Mario macht den Anfang. Fast gemütlich nimmt er die Biegung, bevor das Wasser krachend und spritzend die Felsen erreicht. Stefan tut es ihm nach und schon öffnet sich vor uns wieder der endlose unberührte Sandstrand, gesäumt von Sandhügeln, die die Wellenbewegung des Meeres aufnehmen und ins Land hineintragen.
Jetzt sind wir schon drei Tage am Meer unterwegs und haben noch nicht gebadet, uns gar überhaupt nicht gewaschen. Im Nationalpark Banc d´Arguin finden wir nun malerische Buchten vor, in denen das Wasser türkisfarben schimmert. Ich kann nicht anders als „ich will Kühe!“ zu brüllen, gemäß dem uralten Werbefilm von TUI. Unfassbar, womit ich mein Gehirn belaste. Der Park ist reich an Kontrasten, schon 10 km nach unserer Meerespause – inzwischen fahren wir landeinwärts – gibt die Landschaft nicht mehr her, als ein paar Steine, Staub und den freien Blick bis zum Horizont. Dort werfen sich kleine rote Hügel auf vor denen noch kleinere braune Buckel sichtbar sind. Als wir näher kommen erkennen wir, dass sich die kleinen braunen Buckel bewegen. Dromedare, mitten im Nichts! Für Mario und Stefan ist die Fotojagdsaison eröffnet.
Mario hat ein gutes Auge für Motive. Jetzt setzt er dieses ein, um die perfekte Szene für die Kaffeepause zu finden. Der scheinbar einzige schattenspendende Baum im Umkreis von 100 Kilometern ist ein knorriges Gewächs, dessen dunkel grün schimmernde Krone sich bei genauerer Betrachtung als winzige fleischige Blättchen erweisen, die durch riesige Dornen vor Fressfeinden geschützt werden. Unter dieser merklich kühleren Krone lässt es sich bei Espresso, Schokolade und Jazzmusik sehr gut aushalten. Mauretanien ist nicht so schlecht. Nach sehr gemütlichen vier Tagen erreichen wir etwas wehmütig wieder die Teerstraße, wo der erste Kontrollposten, dem wir unsere Fiche unaufgefordert herausreichen, Stefan fragt, ob er nicht eine deutsche Frau für ihn hätte. 15 Jahre müsste sie schon sein, ansonsten wäre er flexibel. Die zweitgrößte Stadt Mauretaniens, Nouadhibou, liegt nahe der Grenze zur Westsahara. Der Name bedeutet übersetzt „Brunnen des Schakals“. Dass sich Fuchs und Schakal hier gute Nacht sagen glaube ich sofort, denn außer Staub hat die Stadt nicht viel zu bieten. Einziges Highlight ist der Eisenerzzug, welcher der längste Güterzug der Welt sein soll. Jedes Mal, wenn er in der Stadt einläuft, bringt er 22 000 Tonnen des schweren Gesteins aus dem Landesinneren an die Küste zum Export. Eisenerz ist eine der industriellen Lebensadern Mauretaniens. Die Rebellen der Westsahara wussten das und haben den Zug im Kampf um ihre Unabhängigkeit immer wieder angegriffen. So lange, bis Mauretanien das Schlachtfeld den Marokkanern überlies, die sich ebenfalls um die Westsahara stritten. Die Saharawi waren den Marokkanern schließlich unterlegen, die das Land seither besetzen. Auf unserer blackcontinent-Tour zählen wir die Westsahara aber trotzig als eigenständiges Land. Sie ist unser nächstes Reiseziel. Beim Blick zurück nach Mauretanien muss ich erkennen, dass ich mit falschen Vorstellungen und mit Ängsten beladen hier hergekommen bin. Das Land und seine Leute haben mich eines besseren belehrt. Wir sind froh über die Entscheidung, uns hier mehr Zeit genommen zu haben.
Wir nehmen die alte Strecke von Nouakchott nach Nouadhibou entlang des Meeres.
Die größte Gefahr geht von den Leinen aus, mit denen Fischerboote am Strand vertäut sind. Sie sind Stolperfallen für unsere Autos.
Während der Ebbe bildet sich ein 5 bis 10 Meter breites Strandstück, das gut zu befahren ist.
Dann zeigen sich auch massenweise Krabben, auf der Suche nach dem Abendbraten.
Vor wenigen Minuten war dieser Fisch noch als Ganzes zu erkennen. Dann kam die Krabbenschar und machte sich über ihn her.
Auch diese zwei Prachtexemplare werden den Abend nicht überleben.
Wildcamp in den Dünen. Die Kohle züngelt erwartungsvoll.
Um diesen Felsen müssen wir herum, aber das Wasser weicht selbst bei Ebbe nie ganz zurück.
Wir beobachten die Wellen. Wann ist der richtige Zeitpunkt zur Durchfahrt?
Gut gemacht!
Zwischen Wassersaum und Weichsanddünen führt der einzige Weg geradeaus.
Die Zeit bis zur nächsten Ebbe verbringen wir im spärlichen Schatten unserer Wagen.
So groß können Langusten sein. Eine für Mario, eine für Stefan und eine für Heike...
Im Nationalpark ist selbst das Nichts beschildert. Verfahren praktisch ausgeschlossen.
Unsere riesige türkisfarbene Badewanne.
Da ist wohl ein Containerschiff mit Glühbirnen gesunken. Über Kilometer liegen sie am Strand verstreut.
Der Beweis: Eine Fata Morgana lässt sich auch fotografieren. Ein Auto und drei Passagiere scheinen über das Wasser zu gehen.
Überlebenskünstler - Dromedare in der Sahara
Zurück in der Zivilisation. Der Eisenerz-Zug ist mit mehreren Kilometern der längste Güterzug der Welt. Er nimmt auch Passagiere mit.
Im Nationalpark Banc d´Arguin