Westsahara: Der vergessene Staat
Westsahara: Der vergessene Staat
13.04.11
Stolze 11 der 22 afrikanischen Länder auf unserer Tour feierten im Jahr 2010 fünfzig Jahre Unabhängigkeit von ihren Kolonialmächten. Für ein Land gibt es jedoch nichts zu feiern: Die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) ist ein Staat im Exil. Auf ihrem Territorium – der Westsahara - wurde die Entkolonialisierung bis heute nicht vollzogen. Die Kolonialmacht Spanien zog sich 1975 zurück. Sie überlies damit das Feld Marokko und Mauretanien, die um das Gebiet miteinander stritten und gegen die Freiheitskämpfer der Westsahara, die POLISARIO, zu Felde zogen. Marokko gewann schließlich die Oberhand und schaffte mit dem Bau einer 2800 km langen, vermienten Mauer unüberbrückbare Fakten. Die Exilregierung der DARS operiert seither aus vier Flüchtlingslagern in Algerien . Die Vereinten Nationen haben mit Resolutionen das Recht der West-Sahara-Bewohner bekräftigt, in einer Volksabstimmung selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Die Bevölkerung, die Sahraouis, haben aber bisher keine Chance bekommen, über ihr Land zu bestimmen. Derweil zementiert Marokko mit dem Bau ganzer Städte und Infrastruktur wie Strassen, Telefon und Stromnetz seine Ansprüche. Wie angespannt die Lage ist erleben wir beim Grenzübertritt aus Mauretanien. Unübersehbare Plakate ermahnen uns auf der gut erkennbaren Pisten zu bleiben, da das Gebiet im Niemandsland vermient ist. 2007 sind hier Holländer ums Leben gekommen, die sich abseits des Weges aufgehalten haben. Bis zur Grenze mit „Marokko“ passieren wir zahlreiche ausgebrannte Fahrzeugwracks. Die Piste ist in schlechtem Zustand. Ausgewaschene Bereiche wechseln ab mit versandeten Passagen. PKWs schaffen diese Strecke oft nur mit Hilfe stärkerer Fahrzeuge, die sie abschleppen. Urplötzlich perfekte Teerstraße. Wir haben den marokkanischen Grenzposten erreicht. Von Aussichtstürmen sondieren bewaffnete Militärs die Lage. Betonbauten beherbergen die Einwanderungsbehörde und den Zoll, alles gesichert durch reichlich Polizeipräsenz.
Der Beamte der Einwanderungsbehörde ist ausersehen höflich. Wir sind noch immer zusammen mit unserem Freund Mario aus den Niederlanden unterwegs. Wir legen unsere drei Pässe vor und der Beamte stutzt, „wo ist die Gazelle des Holländers?“ Stefans Gazelle begreift die Frage nicht. Der Drogenfahnder ist ein kleiner dicklicher Mann mit rundem Gesicht, das er mir immerzu so nah vor die Nase hält, dass ich zu schielen beginne. „Führen Sie Alkohol mit sich?“ „Haben Sie Drogen oder Medikamente an Bord?“ Die Salve der Fragen hört nicht auf. „Haben Sie einen Hund?“ Jetzt bekomme ich einen Lachanfall, was der Beamte natürlich als Missachtung seines Amtes wertet und peinlich genau seine Inspektion fortsetzt. Er überprüft sogar die Ersatzreifen, ob diese tatsächlich nur Luft enthalten. Vor der 22 Millionen Euro Röntgenanlage – der nächsten Station unseres Grenzmarathons – wird dynamisch-afrikanisches Anstehen praktiziert. Als ein Mercedes, der erst lange nach uns an der Grenze angekommen ist, sich einen Platz in der Schlange vor uns zu sichern versucht, fährt Stefan ein geschicktes Manöver. „Rumps“, der Araber kollidiert mit dem Fahrzeug hinter das er aufzuschließen beabsichtigte. Die Stoßstange seines Wagens fällt krachend zu Boden. Stefan lächelt schelmisch, steigt aber aus und bringt dem Mann reißfestes Klebeband, mit dem er das Teil zumindest provisorisch wieder befestigen kann. Am Zoll suchen sie derweil fieberhaft nach illegalem Foto und Videomaterial auf Marios iPhone. Dieses Hightech-Spielzeug würden sie zu gerne beschlagnahmen.
Die Einfuhr von Alkohol ist in Marokko strengstens untersagt. Wurden wir vor der Röntgenanlage noch massiv bedrängt eventuelles Fehlverhalten zuzugeben, werden wir nach der Röntgenkontrolle leutselig darum gebeten die doch sicher irgendwo versteckten edlen Tropfen mit den hohen Herren hier freundschaftlich zu teilen. Alleine, die auf den Aufnahmen sichtbaren Flaschen im Wagen enthalten wirklich nur Wasser. Die offensichtliche Doppelmoral ist mir recht unangenehm.
In den nächsten Stunden folgen wir der Teerstraße durch immer gleiche Landschaft aus flachem Sand bewachsen mit niedrigem Buschwerk. Die Orte die wir passieren muten an wie Geisterstädte. Die Neubauten sind akkurat im Viereck errichtet, samt zentraler Moschee. Marokkaner sollten hier angesiedelt werden. Offenbar ist der Drang in die Wüstenei aber nicht all zu groß, denn um die größtenteils leerstehenden Gebäude fegt der Wind und der Sand der Sahara erobert sein Terrain stückweise zurück. Die Dünen „laufen“ praktisch über die Strasse. Bagger sind damit beschäftigt die Route freizuhalten. An einem hochmodernen Rastplatz irgendwo im Nirgendwo machen wir Pause und trauen unseren Augen nicht. Der unfallgeplagte Land Rover von Natalie und Dave steht dort vor der Tür. Die Zwei hatten vor einer Woche einen Getriebeschaden und organisieren sich gerade neu. Ich weiss noch immer nicht, ob ich diese Lebenskünstler bewundern oder bedauern soll.
Der Himmel macht Stefan einen traumhaften Sonnenuntergang über dem Meer zum Geburtstagsgeschenk. Mario und ich bemühen uns zumindest um eine festliche Atmosphäre für das zusammengewürfelte Abendessen. Im Camp von Porto Rico geht für unseren Ehrengast, bei Kerzenschein, auf dem Boden des Beduinenzelts zwischen bunt bestickte Kissen gekuschelt, ein anstrengender Tag zu Ende.
Der Begriff „Tupperdose“ ist durchaus angemessen. An diesen bis zu 14 Meter langen Wohnmobilen ist nun wirklich alles aus gut verschließbarem Plastik. Europäische Rentner überschwemmen in diesen Fahrzeugen Westafrika, wenn zu Hause der Winter Einzug hält. Sie übernachten auf Wildcamps, denn sie sind mit ihrer Ausstattung wochenlang autark. In Dakhla verbringen sie mehrere Monate am Stück an der gleichen Stelle, auf schattenlosen Arealen, die dem Wind und dem Salz des Meeres voll ausgesetzt sind. In ganzen Gruppen verabreden sie sich für das nächste Jahr, damit sie beim Kite-Surfen Gesellschaft haben. Am Abend verschwindet jedes Pärchen zum Fernsehen in die eigenen vier Wände. Ob es da nicht in Südfrankreich schöner wäre?
Ein eiskalter Wind bläst auch den marokkanischen Besatzern entgegen. Nach dem Freitagsgebet in der Moschee von Dakhla findet eine Demonstration für die Unabhängigkeit der Westsahara statt. Es verläuft alles friedlich, aber es brodelt unter der Oberfläche. Junge Sahraouis geben uns das „Daumen hoch“-Zeichen. Sie freuen sich über unseren Besuch und finden deutliche Worte für die Marokkaner.
Nach nur drei Tagen und 1200 km zäher Fahrt entlang der Küste, erreichen wir den kleinen Grenzort Tah. Am Denkmal für die nördliche Landesgrenze der Demokratischen Arabischen Republik Sahara erklären wir uns mit den Saharaouis solidarisch und addieren ein weiteres Land zu unserer blackcontinent Tour.
In diesem kleinen Beduinenzeltlager in der Bucht von Porto Rico feiern wir Stefans Geburtstag.
Der Wächter des Camps ist ein Saharaoui. Ganz selbstverständlich bereitet er am Abend für uns Tee, wie es Tradition ist.
Wir parken den Landy so zum Wind, dass dieser uns nicht die Nähte des Dachzelts zerreisst.
Abendessen im Beduinenzelt. Hier ist es warm und vor allem windstill.
Stefan und Mario haben das Frühstück bereitet. Erst dann krieche ich aus dem Dachzelt. Der Saharaoui ist bereits besorgt, weil ich so lange schlafe. „Ist die Madame vielleicht krank?“ Die Herren amüsieren sich.
Die „Kissing Camels“ von Tan Tan. An diesem Kreisel ist Vorsicht geboten, wer zu schnell fährt wird abgezockt.
Ein Monument erinnert daran, dass hier die Grenze zwischen Marokko und der Westsahara verläuft. Grenzformalitäten sind nicht zu erledigen, denn offiziell befinden wir uns bereits in Marokko.